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Umfangreiches Update für das deutsche Kartellrecht | 德国反垄断法重大修订:大幅提高经营者集中审查申报营业额门槛和严格监管数码企业

Höhere Umsatzschwellen für die Fusionskontrolle und strengere Regeln für die digitale Wirtschaft

Fast ein Jahr nach der Vorstellung des Referentenentwurfs ist die 10. GWB-Novelle am 19. Januar in Kraft getreten.

Kernanliegen der Novelle ist eine verschärfte Missbrauchsaufsicht über marktmächtige Unternehmen der digitalen Wirtschaft. Für die Unternehmenspraxis besonders relevant dürfte eine erst letzte Woche  ergänzte, signifikante Anhebung der Umsatzschwellen der Fusionskontrolle sein, die zu deutlich weniger anmeldepflichtigen Transaktionen führen wird.

Weitere wesentliche Änderungen: Wettbewerber erhalten einen Anspruch auf eine Entscheidung des Bundeskartellamts zu beabsichtigten Kooperationen. Das Bundeskartellamt erhält weitere  Ermittlungsbefugnisse, die bei vielen Unternehmen eine Überarbeitung ihrer „Dawn Raid Guidelines“ erfordern werden. Angemessene und wirksame Compliance- Maßnahmen können zukünftig bei der Festsetzung eines Bußgelds durch das Bundeskartellamt bußgeldmindernd berücksichtigt werden.

Executive Summary

  • Fusionskontrolle: Signifikante Erhöhung der Umsatzschwellen
  • Missbrauchsaufsicht: Verschärfte Regeln für Digitalunternehmen
  • Verfahrensrecht:
    • Anspruch auf Beurteilung beabsichtigter horizontaler Kooperationen
    • Erweiterte Ermittlungsbefugnisse u. a. bei Durchsuchungen
  • Bußgeldrecht: Kodifizierung der Bußgeldzumessungskriterien, u. a. bußgeldmindernde Berücksichtigung von Compliance-Vorkehrungen
  • Kartellschadenersatz: Widerlegliche Vermutung der Kartellbetroffenheit von Rechtsgeschäften mit Kartellanten

Wir haben nachfolgend im Detail die wichtigsten Änderungen zusammengefasst.

1. Fusionskontrolle

Inlandsumsatzschwellen: Die beiden Inlandsumsatzschwellen (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB) werden angehoben: 

  • Von EUR 25 Mio. auf EUR 50 Mio. und
  • von EUR 5 Mio. auf EUR 17,5 Mio.

Von nun an ist eine Anmeldung nur erforderlich, wenn ein beteiligtes Unternehmen einen Inlandsumsatz von mehr als EUR 50 Mio. und ein weiteres einen Inlandsumsatz von mindestens EUR 17,5 Mio. erzielt hat. Nach wie vor ist zudem ein weltweiter Umsatz aller beteiligten Unternehmen von insgesamt mindestens EUR 500 Mio. erforderlich. Die Inlandsumsatzschwellen der Transaktionswertschwelle (§ 35 Abs. 1a Nr. 2 GWB) werden genauso angehoben.

Durch die höheren Schwellen werden deutlich weniger anmeldepflichtige Transaktionen als bisher erwartet. Allerdings ist damit zu rechnen, dass kritische Fälle in Zukunft intensiver geprüft werden. In einer Pressemitteilung hat das Bundeskartellamt angekündigt, frei werdende Ressourcen entsprechend zu nutzen.

Fristen: Die Fristen des Prüfverfahrens (Phase 1 und 2) werden von vier auf fünf Monate verlängert.

Verpflichtung zur Anmeldung zukünftiger Transaktionen: Das Bundeskartellamt kann Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen verpflichten, Erwerbe von Unternehmen anzumelden, auch wenn die Schwellen nicht erfüllt sind. Unter anderem muss die Verpflichtung einen Sektor betreffen, der Gegenstand einer Sektorenuntersuchung war und in dem der Erwerber an Anteil an dem Angebot oder der Nachfrage von mindestens 15 % hat. Der Erwerber muss einen weltweiten Umsatz von mehr als EUR 500 Mio. und das Zielunternehmen von mehr als EUR 2 Mio. haben. Das Zielunternehmen muss zudem mehr als zwei Drittel seiner Umsatzerlöse in Deutschland erzielt haben.

2. Verschärfung der Missbrauchsaufsicht für Digitalunternehmen

Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung: Das Bundeskartellamt erhält neue Befugnisse gegenüber Unternehmen, die zum Beispiel als Plattform oder Netzwerk, Schlüsselpositionen auf mehrseitigen Märkten besetzen, ohne notwendigerweise auf diesen Märkten marktbeherrschend zu sein. Das Bundeskartellamt kann eine solche Bedeutung feststellen und dem Unternehmen folgende Verhaltensweisen vorbeugend untersagen:

  • beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten die eigenen Angebote gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugt zu behandeln (Self-Preferencing);
  • Maßnahmen zu ergreifen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten behindern, wenn die Tätigkeit des Unternehmens für den Zugang zu diesen Märkten
    Bedeutung hat;
  • Wettbewerber auf einem Markt, auf dem das Unternehmen seine Stellung, auch ohne marktbeherrschend zu sein, schnell ausbauen kann, unmittelbar oder mittelbar zu behindern;
  • durch die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten, die das Unternehmen gesammelt hat, Marktzutrittsschranken zu errichten oder spürbar zu erhöhen, oder andere Unternehmen in sonstiger Weise zu behindern, oder Geschäftsbedingungen zu fordern, die eine solche Verarbeitung zulassen;
  • die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten zu verweigern oder zu erschweren und damit den Wettbewerb zu behindern;
  • andere Unternehmen unzureichend über den Umfang, die Qualität oder den Erfolg der erbrachten oder beauftragten Leistung zu informieren oder ihnen in anderer Weise eine Beurteilung des Wertes dieser Leistung zu erschweren; und
  • für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens Vorteile zu fordern, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen.

Zugang zu Daten: Der Anwendungsbereich der Essential Facility-Doktrin (§ 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB) wird auf die Verweigerung eines Zugangs zu Daten ausgeweitet. Ein marktbeherrschendes Unternehmen muss gegen ein angemessenes Entgelt Zugang zu Daten gewähren, wenn dies notwendig ist, um auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu sein und die Weigerung wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt auszuschalten droht, es sei denn, die Weigerung ist sachlich gerechtfertigt.

Ein Anspruch auf Datenzugang kann auch gegenüber Unternehmen bestehen, die nicht marktbeherrschend sind, aber über relative Marktmacht verfügen (§ 20 Abs. 1a GWB). Dies setzt insbesondere voraus, dass ein Unternehmen für die eigene Tätigkeit auf Zugang zu Daten angewiesen ist.

Weitere Änderungen: Bei der Bemessung von Marktmacht ist der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und die Frage, ob eine Plattform über eine sog. Intermediationsmacht verfügt, zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Regelungen für Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht gilt nun, dass der Schutzbereich der Norm nicht mehr auf kleine und mittlere Unternehmen begrenzt ist. Darüber hinaus sind spezielle Eingriffsmöglichkeiten für den Fall vorgesehen, dass ein Plattformmarkt in Richtung eines großen Anbieters zu „kippen“ droht.

3. Mehr Rechtssicherheit für Unternehmenskooperationen

Wettbewerber, die eine Zusammenarbeit miteinander anstreben, können nunmehr einfacher Rechtssicherheit hierüber erlangen. Sie können eine Entscheidung des Bundeskartellamts beantragen, dass ein Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen nicht vorliegt und daher kein Anlass besteht tätig zu werden.

Voraussetzung ist, dass in Hinblick auf die Zusammenarbeit ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse an einer solchen Entscheidung besteht. Ausweislich der Gesetzesbegründung kann ein solches Interesse insbesondere bei komplexen neuen Rechtsfragen und außergewöhnlich hohem Investitionsvolumen und –aufwand bestehen.

Das Bundeskartellamt soll innerhalb von sechs Monaten über den Antrag entscheiden.

Es wird klargestellt, dass Unternehmen das Bundeskartellamt auch informell um eine Einschätzung bitten können. Das sogenannte Vorsitzendenschreiben erhält damit eine gesetzliche Grundlage.

4. Erweiterte Ermittlungsbefugnisse

Die Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamts werden erweitert. Dies betrifft zum Beispiel das Auskunftsverlangen, Durchsuchungen und in diesem Rahmen bestehende Informationspflichten. Für natürliche Personen besteht zukünftig eine umfassende Auskunftspflicht und Mitwirkungspflicht in Bezug auf die Herausgabe von Unterlagen, wobei sogar Tatsachen, welche geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit herbeizuführen, offengelegt werden müssen. Diese Informationen dürfen jedoch nur mit Zustimmung der betroffenen Person gegen sie verwendet werden.

Verstöße hiergegen sind bußgeldbewehrt. Unternehmen sollten prüfen, ob durch die Änderungen eine Überarbeitung ihrer „Dawn-Raid-Guidelines“ erforderlich ist.

5. Bußgeldrecht

Die Novelle kodifiziert sowohl die Kriterien für einen Bußgelderlass oder eine Bußgeldreduzierung(Kronzeugenregelung) als auch die Kriterien für die Bußgeldzumessung.

Eine begrüßenswerte Änderung ist, dass bei der Bußgeldzumessung angemessene und wirksame Compliance-Vorkehrung bußgeldmindernd berücksichtigt werden können.

6. Kartellschadenersatz

Es soll zur Erleichterung der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen widerleglich vermutet werden, dass Rechtsgeschäfte über Waren oder Dienstleistungen mit kartellbeteiligten Unternehmen, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich des Kartells fallen, kartellbefangen sind. Die Vermutung gilt auch für indirekte Abnehmer.

Autoren: Daniel Wiedmann, Xin Zhang
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