Drastische Verschärfung der Wegzugsbesteuerung ab dem 1. Januar 2022
Der Deutsche Bundestag hat am 21. Mai 2021 das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG) beschlossen. Über den Anwendungsbereich besagter Richtlinie hinaus, die nur Betriebsvermögen betrifft, hat der deutsche Gesetzgeber darin auch die Wegzugsbesteuerung für privat gehaltene Gesellschaftsanteile neu gefasst (siehe hierzu bereits unsere Mandanteninformation vom 15. Januar 2020). Insbesondere wird die zinslose unbefristete Stundung bei Wegzug von EU-/EWR-Bürgern innerhalb des EU-/EWR-Raums abgeschafft und durch die Möglichkeit einer siebenjährigen Ratenzahlung ersetzt. Die Zustimmung des Bundesrates zu dem Gesetz ist für den 25. Juni 2021 geplant.
Die Neuregelung betrifft alle Wegzüge ab dem 1. Januar 2022 (§ 21 Abs. 1 AStG-neu). Vor allem internationale Unternehmerfamilien und Familienunternehmen können von den Verschärfungen betroffen sein. Wer noch unter Nutzung des bisherigen Regimes mit seinen großzügigen Stundungsregelungen für Wegzüge innerhalb der EU wegziehen möchte, sollte zügig handeln.
Zusammenfassung
Die deutsche Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) wird ab 2022 neu gefasst. Insbesondere fällt die zinslose unbefristete Stundung bei Wegzügen von EU-/EWR-Bürgern innerhalb des EU/EWR-Raums weg. Daneben werden insbesondere der persönliche Anwendungsbereich sowie die sog. Rückkehrerregelung neu gefasst.
1. Allgemeines zur deutschen Wegzugsbesteuerung
§ 6 AStG unterwirft die Wertsteigerungen einer mindestens 1-prozentigen Beteiligung (in Einzelfällen ggf. sogar unter 1%) am Kapital einer Kapitalgesellschaft (vgl. § 17 EStG) bei Wegzug des Gesellschafters ins Ausland als fiktiven Veräußerungsvorgang der Einkommensteuer. Das Gesetz sichert Deutschland das Recht, die bis zum Wegzug des Steuerpflichtigen aus Deutschland gebildeten stillen Reserven in privat gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen im Zeitpunkt des Wegzugs des Steuerpflichtigen ins Ausland zu besteuern. Denn nach den meisten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steht das Besteuerungsrecht am Gewinn aus dem Verkauf von privat gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft dem Wohnsitzstaat zu (Art. 13 Abs. 5 OECD-Musterabkommen), sodass Deutschland das Besteuerungsrecht mit Wegzug grundsätzlich verliert. Die Regelungen des § 6 AStG gehen jedoch über den Zweck einer Schlussbesteuerung aller in Deutschland gebildeten stillen Reserven bereits heute hinaus und weisen demgemäß eine in mehrerlei Hinsicht überschießende Besteuerungstendenz auf.
2. Persönliche Anwendbarkeit der Wegzugsbesteuerung
Bisherige Rechtslage
Nach bisherigem Recht muss der Steuerpflichtige „insgesamt“, d. h. im Laufe seines gesamten Lebens bis zum Wegzug, mindestens zehn Jahre unbeschränkt in Deutschland steuerpflichtig gewesen sein, um überhaupt unter die Wegzugsbesteuerung zu fallen.
Rechtslage nach ATADUmsG
Die neue Regelung sieht eine Verkürzung des Zeitraumes der vor dem Wegzug erforderlichen unbeschränkten Steuerpflicht von zehn auf sieben Jahre vor. Nach Deutschland zugezogene Steuerpflichtige fallen damit künftig bereits drei Jahre früher unter die Wegzugsbesteuerung. Allerdings wird künftig beim Wegzug zur Bemessung der Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht nicht mehr auf die gesamte Lebenszeit, sondern nur auf die letzten zwölf (Zeit-)Jahre abgestellt.
3. Abschaffung der zeitlich unbegrenzten Stundung bei Wegzug ins EU-/EWR-Ausland
Bisherige Rechtslage
Nach aktuellem Recht ist die geschuldete Steuer bei Wegzug in ein anderes Mitgliedsland der EU oder des EWR zwingend zeitlich unbegrenzt, unverzinslich und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, solange der Steuerpflichtige Staatsangehöriger eines EU- oder EWR-Staates ist und weiter seine Anteile hält.
Rechtslage nach ATADUmsG
Nach der neuen Regelung wird es keine dauerhafte Stundung mehr geben. Die Differenzierung zwischen Wegzügen von EU-/EWR-Bürgern in andere EU-/EWR-Länder einerseits und Wegzügen von Staatsangehörigen von Drittländern sowie Wegzügen in Drittländer andererseits wird aufgegeben. Die Steuer wird künftig in allen Fällen grundsätzlich sofort fällig. Auf Antrag besteht die Möglichkeit, die Steuer in sieben gleich hohen Jahresraten zu bezahlen, wenn der Steuerpflichtige dafür eine Sicherheit an das Finanzamt leistet. Die Ratenzahlung ist zinsfrei.
Damit verschärft der Gesetzgeber im Ergebnis in substantieller Weise die Besteuerung für Wegzüge von EU-/EWR-Bürgern in andere EU-/EWR-Länder, da keine Dauerstundung mehr vorgesehen ist und Wegzügler künftig selbst bei reinen EU-/EWR-Fällen in der Regel eine Sicherheit stellen müssen. Demgegenüber wird nun für Drittländer erstmals die Möglichkeit eingeführt, die Zahlung auf sieben gleiche zinslose Jahresraten zu strecken.
4. Vorübergehende Abwesenheit („Rückkehrerregelung“)
Bisherige Rechtslage
Die Wegzugsteuer entfällt nach bisherigem Recht rückwirkend, wenn der Steuerpflichtige nur vorübergehend (mit gut belegter Rückkehrabsicht bereits bei Wegzug!) abwesend ist und innerhalb von fünf Jahren nach Wegzug erneut unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland wird. Eine Verlängerung dieser Frist auf insgesamt zehn Jahre ist möglich, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass seine Abwesenheit berufliche Gründe hat und seine Rückkehrabsicht unverändert fortbesteht. Bei Wegzügen von EU-/EWR-Bürgern innerhalb des EU-/EWR-Raums bestand die Rückkehrmöglichkeit bislang zeitlich unbegrenzt.
Rechtslage nach ATADUmsG
Die Rückkehrerregelung soll im Grundsatz beibehalten werden, allerdings soll die reguläre Frist von fünf auf sieben Jahre verlängert werden. Eine Verlängerung um weitere fünf auf insgesamt zwölf Jahre soll ebenfalls möglich sein, wobei nur der Fortbestand der Rückkehrabsicht vorausgesetzt wird; ein Vorliegen von beruflichen Gründen wird nicht mehr gefordert. Auf Antrag des Rückkehrers entfällt die Erhebung von Jahresraten. Die bislang unbefristete Rückkehrerregelung für EU-/EWR-Wegzügler soll dagegen entfallen.
Nach der Gesetzesbegründung soll künftig keine Glaubhaftmachung der Rückkehrab-sicht mehr erforderlich sein. Mit Rücksicht auf den insoweit unveränderten Wortlaut des Gesetzes sowie die in sich widersprüchliche Gesetzesbegründung ist allerdings zu befürchten, dass die Finanzverwaltung weiter die Rückkehrabsicht bereits bei Wegzug fordern könnte. Wegzüglern ist daher dringend zu empfehlen, eine solche Absicht auch künftig zu dokumentieren, wenn sie bei späterer Rückkehr von dem Wegfall der Steuer profitieren möchten.
Wird im Rahmen der Rückkehrerregelung zugleich eine Stundung beantragt, sind auch künftig während des gesamten Stundungszeitraums bis zur Rückkehr des Steuerpflichtigen nach Deutschland keine Raten zu zahlen. Diese Kombination ist daher zu empfehlen. Dieser Weg soll künftig nach dem Willen des Gesetzgebers die einzige Möglichkeit sein, als Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft von mehr als 1% die Steuerpflicht in Deutschland ohne unmittelbare Wegzugssteuerbelastung beenden zu können.
5. Widerruf der Ratenzahlung
Künftig wird jedwede Übertragung, die nicht von Todes wegen erfolgt, schädlich für die Stundung sein, egal ob der Empfänger in Deutschland oder im Ausland ansässig ist.
Des Weiteren führen künftig Gewinnausschüttungen oder Einlagenrückzahlungen ab einem Volumen von 25% des Werts der Anteile des Steuerpflichtigen zur sofortigen Fälligkeit der Steuer. Dies kann zu einem (teilweisen) „Einsperren“ von Vermögen in der Gesellschaft führen, was bei der Wegzugsplanung unbedingt berücksichtigt werden sollte.
6. Sicherheitsleistung
Bisherige Rechtslage
Bisher sieht das Gesetz vor, dass eine Sicherheit für die gestundete Wegzugssteuer nur bei Wegzug in ein Drittland vom Steuerpflichtigen zu leisten ist, nicht hingegen bei Wegzug in ein EU-/EWR-Land.
Rechtslage nach ATADUmsG
Aufgrund der vom Gesetzgeber angestrebten Gleichstellung von EU-/EWR-Fällen mit Drittstaatenfällen wird zwischen Wegzügen in Drittstaaten und EU-/EWR-Staaten nicht mehr unterschieden – zum Nachteil der Steuerpflichtigen, die innerhalb des EU-/EWR-Raums wegziehen wollen. Künftig ist in der Regel bei allen Wegzügen Sicherheit für die Wegzugssteuer zu leisten. Hierin wird für viele Steuerpflichtige künftig eine unüberwindbare praktische Hürde selbst bei der Beantragung der siebenjährigen Ratenzahlung liegen. Denn nach Ansicht der Finanzverwaltung einiger Bundesländer können die Anteile der mit der Wegzugssteuer belegten Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht als Sicherheit akzeptiert werden. Wenn der Steuerpflichtige also nicht über werthaltige deutsche Immobilien, Bundesschatzbriefe oder Ähnliches in hinreichendem Wert verfügt, könnte die Wegzugssteuer selbst bei Wegzügen von EU-/EWR-Bürgern innerhalb der EU/ des EWR künftig sofort fällig werden.
Es spricht viel dafür, dass die Finanzverwaltung das künftige Ermessen beim Einfordern einer Sicherheitsleistung („in der Regel“) vor dem Hintergrund der Kapitalverkehrs- und der Niederlassungsfreiheit so auszuüben haben wird, dass innerhalb des EU-/EWR-Raums keine Sicherheitsleistung gefordert werden kann. Denn insoweit gilt die EU-Beitreibungsrichtlinie, sodass kein Risiko für das deutsche Steueraufkommen besteht. Gleichwohl dürfte dies vermutlich in der Mehrzahl der künftigen Fälle erst mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen sein.
7. Bewertung und Ausblick
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hatte die Verschärfung der Wegzugssteuer bereits länger geplant; der erste Referentenentwurf wurde am 10. Dezember 2019 veröffentlicht. Der zweite Referentenentwurf erschien am 24. März 2020 und wurde genau ein Jahr später, am 24. März 2021, von der Bundesregierung beschlossen. Trotz Kritik in den Bundestagsanhörungen wurde der Entwurf der Bundesregierung vom Bundestag unverändert beschlossen.
Aus unserer Sicht ist es zweifelhaft, ob die Änderungen europarechtlich Bestand haben können. Immerhin hat der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Wächtler (vom 26. Februar 2019, C-581/17) das Erfordernis der Gleichbehandlung inländischer Umzüge mit Umzügen über die Grenze innerhalb des EU-/EWR-Raums (sowie im entschiedenen Fall der Schweiz) herausgestellt. Die Gesetzesbegründung selbst spricht diesen Widerspruch ausdrücklich an, beruft sich aber auf andere, ältere EuGH-Rechtsprechung im Zusammenhang mit der steuerlichen „Entstrickung“ von Betriebsvermögen. Nach Ansicht des Gesetzgebers „dürfte“ – so der Wortlaut der Gesetzesbegründung – die Neuregelung auf deren Grundlage europarechtskonform sein.
Speziell die weitgehende Gleichstellung von Wegzügen in die Schweiz mit EU-/EWR-Wegzügen auf der Grundlage des Freizügigkeitsabkommens der Schweiz mit der EU durch das Wächtler-Urteil des EuGH dürfte (ein) Anlass der nun beschlossenen Verschärfung der deutschen Wegzugssteuer gewesen sein. Die Gesetzesbegründung spricht davon, dass eine Ausweitung der Stundungsmöglichkeit auf Drittstaaten, „insbesondere auf die Schweiz“ – ein „steuerpolitisch falsches Signal“ gewesen wäre.
Insgesamt sind die verschärften Regelungen als übermäßig restriktiv einzustufen. Sie begründen insbesondere für mittelständische Anteilseigner eine unmittelbare und erhebliche Einschränkung innereuropäischer Mobilität. Die Freiheit des Kapitalverkehrs sowie die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU und des EWR werden durch die geplanten Neuregelungen deutlich stärker eingeschränkt als dies nach der geltenden Gesetzesfassung der Fall ist. Für Wegzüge in Drittstaaten (insbesondere auch in Länder ohne Freizügigkeitsabkommen mit der EU und sogar in Länder ohne ein DBA mit Deutschland) hingegen stellt die Neufassung aufgrund der leichteren Ratenzahlungsmöglichkeit eine erhebliche Verbesserung der Rechtslage dar – immerhin auch ein gewisses „steuerpolitisches Signal“.
Da die neuen Regeln erst für Wegzüge ab dem 1. Januar 2022 gelten, kann das bestehende Regime noch bis zum Ende des Jahres genutzt werden. Für Stundungen, die auf Wegzüge bis 31. Dezember 2021 gewährt werden, gilt das alte Recht auch ab dem 1. Januar 2022 unverändert weiter. Wir beraten Sie gern.