Weniger Bürokratie wagen?
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön ist Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. Nicht nur in Fachkreisen ist er als gewichtige Stimme im steuerwissenschaftlichen Diskurs bekannt. Jüngst hat sich der nicht nur national, sondern auch international gefragte Fachmann für komplexe Unternehmensbesteuerung über seine wissenschaftliche Disziplin hinausgewagt und in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 23. Juni 2023 das Phänomen des „Regulierungsbankrotts“ behandelt, d.h. eine Situation, in der ein Staat mehr regelt als er noch verwalten kann.
Der Stand der Regulierung scheint in Deutschland mittlerweile eine „neue Qualitätsstufe“ erreicht zu haben. Insbesondere Ergänzungen bereits bestehender Regelungen durch Informations-, Dokumentations- und Aufsichtspflichten sorgen dafür, dass die personellen Belastungswirkungen weiter steigen. Ein legislativ immer komplizierteres und differenzierteres Regelwerk für Verwaltung und Wirtschaft trifft auf ein aber nicht in gleicher Weise ausgeweitetes, viel eher sogar sinkendes, Angebot an Fachpersonal zu dessen Umsetzung.
Das Fehlen des nötigen Fachpersonals ist uns allen tagtäglich spürbar. In Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Steuerberatungskanzleien, Steuerabteilungen und auch in den Finanzämtern oder Finanzgerichten ist dies greifbare Realität. Doch auch andere Bereiche der Wirtschaft und Verwaltung ächzen unter der Arbeitslast. Kürzlich kritisierte die Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg öffentlich die langen Bearbeitungs- und Wartezeiten der Stuttgarter Ausländerbehörde. Zustimmung erhielt sie insbesondere von Arbeitgeberverbänden, deren Mitglieder händeringend auf die Arbeitserlaubnisse für die Einstellung ausländischer Mitarbeiter warten. Die ebenfalls über die Medien geäußerte Antwort der Ausländerbehörde war: Fachpersonalmangel.
Es ist unstreitig, dass die im Ursprung gemeinwohlorientierte Gesetzgebung, sowie deren Reformen und Umsetzung im Kern zumeist sinnvoll sind. Doch, so scheint es, könnten mittlerweile Grenzen erreicht sein, die diesen Grundgedanken legislativen Handelns ins Gegenteil umkehren. Rein formale Korrektheit zwinge dem privaten und öffentlichen Sektor dort nun einen gewaltigen Aufwand ab, wo früher „einfach nur Richtigkeit im Verhalten und Ergebnis entscheidend war“. Als Beispiele kommen in den Blick
- die Datenschutz-Grundverordnung
- die Lieferketten- und Nachhaltigkeitsberichterstattung oder auch
- die gestiegenen Anforderungen an eine gerichtsfeste Aufzeichnung der Arbeitszeiten.
Nicht zuletzt die zweifelsohne erforderliche und sinnvolle Reform der Grundsteuer scheint bereits trotz meist wenig komplexer Neuregelungen sowohl Verwaltung als auch die Bürger und deren Berater an den Rand personeller Kapazitätsgrenzen zu treiben.
Wäre ein Ausweg aus dieser Misere durch härtere strafrechtliche Sanktionen oder durch verstärkten Einsatz künstlicher Intelligenz als Kontroll-Ersatz sinnvoll? Ist ein Stutzen von regulatorischem Wildwuchs bzw. das Fördern gegenseitigen Vertrauens der richtige Weg? Diesen und anderen Fragestellungen möchte sich das Münchner Unternehmenssteuerforum in seiner 40. Ausgabe widmen.
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